Antwort auf die WKO-Kampagne

Die Wirtschaftskammer hat ein „Manifest für die Grazer Wirtschaft“ verfasst – laut eigenen Angaben im Namen von 20.949 Unternehmer:innen. Ich bin einer davon und stelle fest: In meinem Namen ist das nicht geschehen. Daher habe ich folgenden Gegenentwurf verfasst:

Das Papier der Wirtschaftskammer gibt’s unter https://www.wko.at/stmk/regionalstellen/stadt-oder-stillstand, meine Antwort darauf hier (als Text und als PDF).

Wirtschaften für die Menschen

Ich liebe urbanes Leben. Und ich liebe Graz.

Die nachhaltige Entwicklung einer Stadt erfordert zuallererst saubere Luft, sauberes Wasser, ein stabiles Klima, gesunde Lebensmittel, hochwertigen Wohnraum und ein funktionierendes Sozialsystem.

Wenn eine Stadt wie Graz diese ökologischen und sozialen Grundlagen vernachlässigt oder gar zerstört, kann sie sich auch wirtschaftlich nicht gut entwickeln.

Ohne eine intakte Umwelt und gesunde Menschen fehlen die Ressourcen und Arbeitskräfte, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.

Was die mehr als 20.000 Unternehmer:innen der Stadt brauchen, um nachhaltig zu wirtschaften, haben ich hier kurz zusammengefasst.

Bitte reden Sie mit. Nur wenn Sie sich zu Wort melden, wird die WKO etwas ändern.

Wie ich Wirtschaft verstehe

In einer idealen Welt wäre allen Menschen klar, dass die Wirtschaft ein Teil unserer Gesellschaft ist. Sie wüssten, dass wirtschaftliche Tätigkeiten eine solide ökologische und soziale Grundlage brauchen – und sie nur dann ihren eigentlichen Zweck, die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, erfüllen können.

In einer idealen Welt wäre allen Politiker:innen klar: Die Wirtschaft ist ein Teilsystem der Gesellschaft – ebenso wie z.B. Bildung, Wissenschaft, Kultur oder Religion. Die Politik sollte den Rahmen schaffen, damit all diese Teilsysteme ihren Zweck bestmöglich erfüllen können.

In der echten Welt und besonders bei der Wirtschaftskammer wird „Wirtschaft“ oft so dargestellt, als würde sie dann am besten funktionieren, wenn Unternehmen völlig frei agieren dürften. Dies bewirke mehr Leistungswillen und Eigenverantwortung. Tatsächlich führt dieses Selbstverständnis aber dazu, dass Werte wie Egoismus und Rücksichtslosigkeit immer mehr an Bedeutung gewinnen. Dabei soll die Wirtschaft nicht möglichst viel produzieren, sondern das, was die Menschen für ein gutes Leben brauchen!

Das bewusst zu machen und zu ändern, ist eine wichtige Aufgabe.
Möge ein langfristiges, ganzheitliches Denken mit uns sein!

#1 Urbane Lebendigkeit fördern,
nicht nur Konzerne

Wirtschaften für die Menschen. Das ist eine prägnante und im positiven Sinne provozierende These, die auffordert, über die Rolle der Wirtschaft in der Stadtentwicklung nachzudenken: Wollen wir eine Wirtschaft, die die Lebensqualität der Menschen in der Stadt verbessert?

Eine Wirtschaft, die hochwertige Güter und Dienstleistungen produziert und sinnvolle Arbeitsplätze schafft? Oder riskieren wir ein Marktversagen, das den Menschen in der Stadt mehr schadet als nutzt?
„Wirtschaften für die Menschen“ ist ein Weckruf. Graz muss leben dürfen. Graz muss auch mit wenig Konsum funktionieren. Graz muss Raum für Menschen bieten. Straßen und öffentliche Plätze sollen belebt sein. Die Mur sollte nicht nur fließen, sondern so sauber sein, dass man darin baden kann. Denn: Eine Stadt ist nicht nur Wirtschafts-, sondern vor allem Lebensraum.

#2 Praktikable Lösungen für alle,
nicht für einige wenige

Eine gute Raumplanung ist der Schlüssel für eine lebendige Stadt.
Einerseits geht es die Gestaltung der Räume – sei es in der Innenstadt, in Bezirks- und Stadtteilzentren oder in Wohngebieten. Fühlen sich die Menschen in den öffentlichen Räumen nicht wohl (was z.B. auf viel befahrenen Straßen so ist), sinkt die Frequenz – und die Kund:innen bleiben aus.#

Nicht weniger wichtig: Die Erreichbarkeit dieser Räume. Eine einseitige Fokussierung auf den Autoverkehr schließt viele aus: Ältere Menschen, die selbst nicht mehr fahren; Kinder und Jugendliche; Studierende und Menschen mit wenig Einkommen, die sich kein Auto leisten können; Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen; und jene, die aus ökologischen Gründen freiwillig darauf verzichten. Statt emotionalisierenden Geschichten, wer nicht alles auf ein Auto angewiesen ist, braucht Graz ein umfassendes Mobilitätskonzept, das alle miteinbezieht und die Stadt nicht nur lebenswert, sondern auch Wirtschaften im Sinne der Menschen möglich macht.

#3 Mehr Mitverantwortung,
weniger jammern

Was den Menschen nichts bringt, sollte unterlassen werden. Punkt. Heute aber ist es oft umgekehrt: Es wird produziert, was verkaufbar ist – egal, ob es einen gesellschaftlichen Mehrwert hat oder nicht. Unternehmen brauchen gewisse Freiheiten zum Ausprobieren, aber auch einen klaren Rahmen, der Mitverantwortung für eine positive Entwicklung der Stadt einfordert. Der bürokratische Aufwand für Unternehmen sollte sich genau an diesem Rahmen orientieren.

Das Erstaunliche an der aktuellen Situation: Über die Bürokratie wird zwar gejammert, dennoch gibt es keine konkret ausgearbeiteten Vorschläge der WKO, wie die Situation verbessert werden könnte. Stattdessen steckt sie vor einer Wahl viel Geld in eine Kampagne, um die Positionen einer bestimmten Partei zu untermauern – und niemand beschwert sich.

#4 Klug investieren,
nicht Zukunft verbauen

Nachhaltigkeit ist auch im volkswirtschaftlichen Sinne wichtig. Jeder Euro, der investiert wird, entscheidet über die Zukunft. Während beispielsweise der Bau von Straßen die Allgemeinheit mit 16 Euro pro 100 Personenkilometer belastet, bringt der Bau von Radwegen einen Nutzen von 18 Euro pro 100 Personenkilometer. Auch beim ÖV und bei der Fußinfrastruktur ist die Bilanz positiv. Der Ausbau dieser Infrastruktur stärkt somit die Grazer Wirtschaft und hilft der Stadt, mittelfristig Schulden abzubauen.

Auch für die Unternehmen ergibt sich daraus ein Nutzen: Stadtteile, die zu Fuß, mit dem Fahrrad und mit dem ÖV gut erreichbar sind und eine hohe Aufenthaltsqualität aufweisen, sind durch die hohe Kund:innen-Frequenz ideal für Geschäfte aller Art. Die zusätzliche Wertschöpfung führt wiederum zu mehr Kommunalsteuern, was mehr Einnahmen für die Stadt bedeutet.

#5 Unternehmen
und unterlassen

Nicht alles ist ein Wettbewerb. Graz ist dann erfolgreich, wenn es den Menschen in der Stadt gut geht. Dafür braucht es starke, regionale Wirtschaftskreisläufe und Unternehmen, die sich an den Bedürfnissen der Menschen in Graz orientieren. Es braucht eine gute Durchmischung von Wohn-, Arbeits-, Einkaufs-, Freizeit- und Bildungsmöglichkeiten, ein engmaschiges Wegenetz und eine gute öffentliche Infrastruktur. Weite Wege sollten im Alltag die Ausnahme, nicht die Regel sein. All das macht die Stadt für die Menschen attraktiv. Und ist sie als Lebensraum attraktiv, ist sie es auch als Wirtschaftsraum.

Ich habe einen Traum: Graz ist die Stadt, die weiter denkt, mutiger handelt und dabei immer an den Menschen orientiert bleibt. Graz steht für eine Zukunft, die nicht nur nachhaltig, sondern auch inspirierend und voller Chancen ist. Und in der eine intakte Umwelt und ein funktionierendes Sozialsystem als Voraussetzungen für erfolgreiches Wirtschaften anerkannt werden.

Wirtschaften für die Menschen (als PDF)

2 Gedanken zu „Antwort auf die WKO-Kampagne

  1. Auch ich habe den lieben Herren geschrieben:

    Sehr geehrter Herr Bauer, sehr geehrter Herr Herk,
    zu Ihrer Kampagne „Stadt oder Stillstand“ ersuchen Sie um Response, bitte sehr:

    Vorab ein Zitat aus ihrem Manifest: Was die mehr als 20.000 Unternehmer:innen der Stadt brauchen, haben wir hier kurz zusammengefasst.
    Damit sprechen Sie im Namen aller Unternehmer*innen der Stadt, haben Sie diese um ihre Zustimmung gefragt?
    Ich jedenfalls habe keinerlei Zustimmung zu dieser Kampagne gegeben, die ich jedoch mit meinen Beiträgen finanziere.

    Besonders kritisieren Sie die einseitige Fokussierung auf den Radverkehr, dazu möchte ich eine andere Sicht der Dinge mit Ihnen teilen:
    Jedes Rad mehr auf der Straße ist ein Gewinn für alle!
    Denn das bedeutet mehr Platz für jene, die wirklich mit dem Auto oder Lieferwagen fahren müssen- und dient damit Ihrer Forderung nach besserer Erreichbarkeit!
    Stellen Sie sich das einmal vor – ein Autoverkehr, der wirklich fließt und Parkraum für jene, die ihn wirklich brauchen, das wäre doch was oder?

    Abschließend noch ein Blick über den Tellerrand, wie andere Städte mit den großen Herausforderungen umgehen, vor denen nicht nur wir Unternehmen sondern wir als Gesellschaft stehen. Wir brauchen rasch innovative Ansätze, um Städte künftig zu lebenswerten und resilienten Lebens- und Wirtschaftsräumen zu entwickeln.
    Vielleicht wäre es an der Zeit, die erforderliche Transformation der Wirtschaft als Kammer bestmöglich zu unterstützen und nicht nur in den Rückspiegel zu schauen?

    Hier nur ein Beispiel für einen Innovationsweg – die Stadt Amsterdam hat sich schon vor einigen Jahren auf den Weg der zirkulären Transformation gemacht.

    https://www.amsterdam.nl/en/policy/sustainability/circular-economy/

    Aus heutiger Sicht ist der Weg zugebenermaßen sehr ambitioniert und visionär, aber ich bin überzeugt, dass es das ist, was wir wieder lernen müssen:

    In Kreisläufen zu wirtschaften und unsere Systeme kreislauffähig zu gestalten.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Helga Kainer (seit 17 Jahren Unternehmerin in Graz)

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