Oberstes Ziel der Verkehrspolitik ist es oft, Verkehr zu verlagern – von den Ortszentren auf die Umfahrungsstraße, von der Straße auf die Schiene, vom motorisierten Verkehr hin zu Radfahren und Gehen. Dafür wird teure Infrastruktur gebaut. Dabei könnte es so einfach sein.
Der Verkehr, der Tag für Tag entsteht, stellt ein bestimmtes Optimum dar: Die Menschen bewegen sich mit jenen Verkehrsmitteln, mit denen sie – subjektiv betrachtet – am schnellsten, sichersten, bequemsten und flexibelsten von A nach B kommen. Dieses Optimum verschiebt sich, wenn sich die Verkehrsinfrastruktur verändert: Der Neu- oder Ausbau von Straßen macht das Autofahren attraktiver, neue Radwege das Radfahren, ein dichteres Angebot an öffentlichen Verkehrsmittel die Nutzung des ÖV und eine bessere Fußinfrastruktur das Gehen.
Will man z.B. eine bestimmte Straße vom Kfz-Verkehr beruhigen, erscheint es naheliegend, parallel dazu eine neue Infrastruktur zu errichten: Eine neue Umfahrungsstraße, ein zusätzlicher Radweg, eine dichtere Taktung des ÖV oder breitere Gehsteige sollen den Verkehr auf andere Routen oder andere Verkehrsmittel verlagern. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Alternativen schneller, sicherer, bequemer und/oder flexibler erscheinen als die Nutzung des eigenen Pkws. Sind hingegen Umfahrungsrouten, Radwege, öffentliche Verkehrsmittel oder Gehwege nicht vom Start bis zum Ziel in einer entsprechenden Qualität verfügbar, bleiben die allermeisten Menschen bei ihrem bisherigen Mobilitätsverhalten. Die neue Infrastruktur verursacht dann höchstens zusätzlichen Verkehr.
Zunächst muss man sich daher fragen, ob durch die geplanten Maßnahmen es überhaupt gelingen kann, ein attraktives Gegenangebot zum Auto zu machen: Radfahren und vor allem Gehen sind vergleichsweise langsam und daher für weitere Strecken uninteressant. Öffentliche Verkehrsmittel benötigen in den meisten Fällen ebenfalls mehr Zeit als Pkws und sind darüber hinaus auch noch ziemlich unflexibel, was Zeiten und erreichbare Ort betrifft. In vielen Fällen sind daher „Pull“-Maßnahmen zur Attraktivierung von Gehen, Radfahren und ÖV-Nutzung zu wenig, um den Verkehr tatsächlich zu verlagern.
Doch das Optimum lässt sich auch anders verschieben – nämlich, indem Autofahren langsamer, weniger komfortabel und weniger flexibel wird. In diesem Fall spricht man von „Push“-Maßnahmen. Beispiele dafür wären niedrigere Tempolimits, weniger Kfz-Fahrstreifen, ein gezieltes Parkraummanagament oder zusätzliche verkehrsberuhigte Zonen („Superblocks“), in denen Autos zwar zu-, aber nicht durchfahren können.
Solche Push-Maßnahmen bewirken unmittelbar, dass man mit dem Auto nun auf einer bestimmten Strecke mehr Zeit benötigt als davor. Gibt es eine ähnlich schnelle Umfahrungsmöglichkeit, verlagert sich der Kfz-Verkehr dorthin. Gibt es hingegen keine alternativen Wege für das Auto, verliert dieses seinen Geschwindigkeitsvorteil. Dadurch verschiebt sich das Optimum für viele Wege in Richtung ÖV, Rad oder sogar Gehen – und das unabhängig davon, ob eine entsprechende Infrastruktur errichtet wird oder nicht.
Der eigentliche Clou ist aber: Wenn das Auto als bisher schnellstes Verkehrsmittel langsamer wird, die anderen Verkehrsmittel aber nicht wesentlich schneller, sinkt die Durchschnittsgeschwindigkeit im Verkehrssystem. Nachdem die Menschen aber immer gleich viel Zeit für Mobilität aufwenden – ca. 70 bis 80 Minuten pro Tag – bedeutet das, dass auch die durchschnittliche Weglänge sinkt.
Konkret bedeutet das, dass die Menschen ihre Alltagswege an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen: Kurzfristig suchen sie sich näherliegende Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten, mittelfristig auch näher beisammen liegende Wohn- und Arbeitsorte. Gleichzeitig haben die verringerten Weglängen massive Auswirkungen auf das Verkehrsaufkommen:
- Der Verkehr wird weniger: Geht die durchschnittliche Weglänge z.B. von 8 auf 6 km zurück, reduziert sich die Personenverkehrsmenge ebenfalls um rund 25%. Das bedeutet: 25% weniger sichtbarer Verkehr auf den Straßen.
- Das Umsteigen wird attraktiver: Kürzere Wege kann man leichter zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem ÖV zurücklegen. Dadurch sinkt der Autoverkehr überproportional (> 25%), während der Fuß- und Radverkehr gleich bleibt oder sogar ansteigt. Dass sich dies positiv auf Gesundheit und Umwelt auswirkt, liegt auf der Hand.
Besonders spannend ist aber die selbstverstärkende Rückkoppelung, die dabei entsteht: Je weniger Autos auf den Straßen unterwegs sind, umso mehr Platz wird für umweltfreundlichere Verkehrsmittel, aber auch für Bäume, Sitzbänke, Gastgärten etc. verfügbar. Somit wird es auch einfacher (und billiger), zusätzlich bestimmte Pull-Maßnahmen umzusetzen, die die Attraktivität des Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehrs weiter steigern.
Das Beste daran ist jedoch, dass die Push-Maßnahmen verhältnismäßig einfach und billig umgesetzt werden, da man dafür keine neue Infrastruktur errichten muss: Wenn man z.B. den Kfz-Durchzugsverkehr durch ein Wohngebiet stoppen will, reicht eine Blumenkiste in der Mitte der Straße. Will man die Geschwindigkeit effektiv reduzieren, kann man mit wenig Aufwand Fahrbahnschwellen errichten. Möchte man die Kapazitäten einer Straße reduzieren, wandelt man einen Fahrstreifen in einen ÖV- oder Radweg um – oder man macht sie gleich zur Wohnstraße, Fußgängerzone, Begegnungszone, Fahrradstraße oder reinen ÖV-Trasse.
Fazit: Der Verkehr verlagert sich automatisch, wenn man vergleichsweise kostengünstige Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung setzt. Anstatt mühevoll zu versuchen, Gehen, Radfahren und ÖV-Nutzung durch den Ausbau der Infrastruktur ähnlich attraktiv zu machen wie das Autofahren, passt man die Durchschnittsgeschwindigkeit des Autos einfach an den vorhandenen Raum an – und bekommt dadurch wie von selbst Platz für alles andere. Auch ohne neue Umfahrungsstraßen.